Interview mit Naz Cilo-van Norel, Senior IoT Consultant

Ekaterina: Hallo Naz Cilo-van Norel, bitte erzähle uns doch einmal kurz von dir persönlich?

Naz: Ich bin – zur Zeit – 49 Jahre alt, habe zuerst Elektrotechnik und danach Politikwissenschaft studiert. Ich bin als Tochter einer Nomadenfamilie auf einer Alm in der Türkei geboren. Und seit dem Feministin, weil ich mich als Mädchen und Frau nicht unterordnen wollte. Ich kämpfe für Gerechtigkeit und gegen Bias insbesondere in Tech.

Seit 1999 bin ich in Bayern daheim und habe zwei Teenager zu Hause, die mich z.Z. ziemlich herausfordern:)

Ekaterina: Naz, was machst du beruflich?

Naz: Ich arbeite seit 25 Jahren bei Siemens, gerade als Senior IoT Consultant. In diesen Jahren hatte ich in vielen Bereichen, Funktionen und mit fast allen Nationalitäten der Erde zu tun, natürlich waren sie fast alle Menschen mit P:) , als Kollege, als Kunde, als Geschäftspartner, als Konkurrenz.

Ekaterina: Was genau versteckt sich hinter der Berufsbezeichnung Engineering, IoT Consulting?

Naz: Na ja, Engineering ist die Summe aller technischen Bemühungen – idealerweise – für die Verbesserung des Menschenlebens auf der Erde. Ingenieure sind diejenigen, die die Erkenntnisse der Wissenschaft auswerten und in praktisch anwendbare Lösungen umsetzen oder sie dem Alltag mit einigen Veränderungen zur Verfügung stellen.

Als IoT Consultant ….erarbeite ich Engineeringlösungen mit dem Internet of Things. Im Internet der Dinge, kurz IoT, werden nicht „einfache“ Computer miteinander vernetzt, sondern alle möglichen Objekte, Lebewesen und auch Menschen. Grundlage des IoT ist das „normale Internet“, also die Übertragung von Daten in Form von kleinen, adressierten Datenpaketen mittels der Standard-Übertragungsprotokolle wie z.B. TCP/IP. Das Internet of Things macht die Welt smarter. IoT ist die Brücke zwischen der materiellen und der digitalen Welt.

Ekaterina: Wie bist du dazu gekommen, einen technischen Beruf zu wählen?

Naz: Wenn ich darüber nachdenke, haben zwei Entwicklungen dahin geführt.

Ich hatte Schwierigkeiten bei dem Umgang mit Menschen bzw. mit anderen Kindern. Vielleicht würde man mich heute als typisches ADS-Kind bezeichnen. Ich hatte leider keine Freundschaften aus der Schulzeit, sondern wurde viel gemobbt. Ich hab meine Pausenzeiten mehr im Lehrerzimmer als mit anderen Kindern verbracht. Zudem war ich in Mathe super aber zu faul sozialwissenschaftliche Themen zu lernen, vielleicht eine Form hoher Inselbegabung.

Mich haben Verhaltensweisen, die, wie ich heute weiß, auf Gender-bias basieren, schon immer gestört. 1987, als die Verbreitung von PC, Programmierung usw richtig los ging, hatten die “schlausten Jungs” sich für Engineering entschieden. Da ich in meinem Gymnasium die Jahrgangsbeste war, wollte das natürlich auch machen .

Ekaterina: Wer oder was hat dich am meisten inspiriert, einen technischen Beruf zu wählen?

Naz: Dass man mit dem Kopf arbeiten kann, mit wenig Aufwand viel Impact generieren kann. Dass ich mich körperlich nicht viel anstrengen muss. Dass diese Berufe Prestige in der Gesellschaft haben und besser bezahlt sind. Ich wollte das machen, was die besten Jungs machten. Ok, heute definiere ich mich nicht mehr über die besten Jungs.

Ekaterina: Hat dich Technologie und Programmieren schon immer interessiert?

Naz: Eigentlich hat Programmieren mich damals nicht so sehr interessiert. Im Studium hatten wir damals die Ur-Versionen der heutigen Programmierungssprachen gehabt, zb Fortran, Cobol, Basic usw. Ich war persönlich eher an großen Anlagen interessiert, wie Transformatoren, Power Electronics, Telecommunication Systems usw.. Mikrochips fand ich eher niedlich 🙂

Ich finde es aber wichtig, ein Basisverständnis und Skills für das Programmieren zu haben. Für alle inzwischen. Es müssen nicht alle Senior Programmer werden aber wissen, wie heutzutage Cyber Physical Systems funktionieren, also inzwischen fast alles.

Ekaterina: Haben deine Eltern und Lehrer deine Vorliebe und dein Interesse für Computer gefördert?

Naz: Meine Eltern? Wäre cool 🙂 Meine Mutter, übrigens mein erstes Vorbild als Feministen:), hat leider nicht mal die Schule besucht. Mein Papa hat mich zu einen guten – von Staat finanzierten – Internat geschickt, damit die Lehrer mich dort besser erziehen und lehren. Vielleicht ist das ja eine Art Förderung.

Ja, meine Lehrer haben mein Leben viel beeinflusst. Ich liebe und respektiere sie bis heute. Mit einigen habe ich noch immer Kontakt. Z.B. besuche mein Grundschullehrer jedes Jahr in der Türkei. Wir diskutieren über Religion:), er hat Angst vor Allah und ich versuche ihn zum Atheisten zu konvertieren:))

Ekaterina: Was gefällt dir an deiner Tätigkeit am meisten?

Naz: Innovationen. Ich liebe Änderungen. Bei einer Nomadentochter könnte das genetisch sein:) Ich liebe es auch, neue Sachen zu lernen. Auch wenn es etwas kindisch klingt, ja, es macht mich immer noch stolz, dass ich mit den “klügsten” Männern diskutieren kann!

Ekaterina: Was ist für dich das Schönste an deinem Arbeitsalltag?

Naz: Dass ich in Ruhe Kaffee trinken und zum Mittagessen gehen und dabei schön angeben kann, was ich alles so Tolles gemacht habe:)

Ekaterina: Wo findet man dich in der Freizeit am ehesten?

Naz: In meinem Homeoffice, wo ich mich mit meiner Leidenschaft, der womenintech.academy und den dazu gehörenden Aufgaben beschäftige.

Ekaterina: Welche Botschaft möchtest du Frauen oder Mädchen mitgeben, die sich für Technik interessieren?

Naz: Mädels, seit der Dampfmaschine sind ca 240 Jahre gegangen. Die technische Welt hat sich viel geändert. Es ist eigentlich sehr einfach. Mit gesundem Menschenverstand kann man mehr als 50% der technischen Aufgaben erledigen. Die Männer, die in Tech-Jobs arbeiten, sind nicht intelligenter oder fleißiger als ihr.

Vor allem im Bereich Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Biotech, Bildungstechnologien, Umwelttechnologien usw gibt es so viel Bedarf an Frauen. Und viele Möglichkeiten. Die Jobs sind besser bezahlt, anerkannt, und sie werden immer mehr “familienkompatibel”.

Ekaterina: Welchen Ratschlag verfolgst du bis heute?

Naz: Persönlich habe ich zwei Sätze. Ich habe einen “growth mindset”. Und für mich “good enough is the new perfect”.

Beruflich: “you don’t get what you deserve but you negotiate”. Das gilt insbesondere für die “underdogs” in Tech, die leider alle sind, die nicht zur Gruppe der “privilegierten weißen Männer” gehören.

Ekaterina: Welchen Herausforderungen begegnest du als Frau in deinem Beruf?

Naz: Das sind so viele, lange Geschichten. 🙂 Ich habe das als Buch geschrieben. Hoffentlich wird es dieses Jahr veröffentlicht.

Aber ich habe fast alle bösen Findings der “Women in tech Studien” selber erlebt.

Ekaterina: Welche Tipps hast du für Bewerbungsgespräche für technische Positionen?

Naz: Wir brauchen nicht uns als die zweite Klasse der Tech-Experten zu präsentieren und uns verniedlichen. Wir können uns mehr zutrauen. Wir können und müssen verhandeln. Niemand kennt alles in einem Bereich, es ist wichtig, dass man bereit ist, zu lernen. Einschränkungen können wir im Hinterkopf haben, um damit umzugehen aber unser Fokus liegt auf unseren Möglichkeiten. Wichtig ist, sich vorher gut vorzubereiten, zu informieren,

Hilfe finden, um Verhandlungen zu trainieren um auch schwierige Fragen beantworten zu können.

Ekaterina: Frauen in technischen Berufen sind ja leider noch eine Minderheit. Was sind deine Gedanken mit diesem Thema?

Naz: Wir kommen wieder 🙂 1985 waren 37 % der Programmierer weiblich. Danach wurden wir von Männern rausgekickt. Aber Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, New Work brauchen Frauen. Und natürlich zwingt uns der demographische Wandel, die Anzahl der “privilegierten weißen Männern” geht zurück.

Ekaterina: Was verbindet dich mit Frauen in der Technik?

Naz: Technik ist dafür da, unser Leben zu erleichtern. Wer hat – basierend auf dem alten Rollenmodell – die meisten Aufgaben das Leben zu managen? Frauen. Wir können viel bessere Lösungen entwickeln, wenn wir die Möglichkeiten haben und uns dafür interessieren. Das bedeutet, wir brauchen viel mehr Frauen, die sich für Technik entscheiden.

Ekaterina: Bitte beschreibe eine schwierige Situation, der du in deinem Beruf in der Vergangenheit begegnet bist.

Naz: Es waren nie die inhaltliche Aufgaben, sondern die Machokultur in dem Bereich. Am schwierigsten waren die sexistische Äusserungen oder Annäherungen, als ich noch keine guten Strategien kannte, damit umzugehen. Z.B. hatte einmal ein Kunde versucht, mich zu küssen, in Anwesenheit von Kollegen. Das war ein russischer Kunde unter dem Einfluss von Vodka. Dieses Verhalten habe ich mit diversen Nationalitäten erlebt, Deutsche, Araber, Kanadier.. Z.B ein amerikanischer Geschäftsmann fragte bei einem feierlichen Zeremonie unseren Gastgeber, ob er mich wegen meiner schönen Beinen und Busen gelobt hatte.

Zum Glück sind die Arbeitsbedingungen für “women in tech” etwas besser geworden. Jetzt- wo ich mich auch als Senior Expertin- bezeichnen kann, geht es meistens um die Kampf um Leistungsanerkennung und Ownership von der Leistung. Stichwörter, Man-splaining, Man-turrupting, Men-toring, He-peating, Man-power und dieser ganze Macho-Mindset.

Ekaterina: Wohin möchtest du dich zeitnah beruflich und persönlich weiter entwickeln?

Naz: Wow. Viel:) Ich will mich für meine Vision, Gender-Equality in Tech noch mehr engagieren. Das tue ich auf zwei Wegen:

Ich unterstütze Frauen, insbesondere Mütter, die sich für Digital-Tech und AI interessieren, z.B in Digital-Learning Circles, wo sie lernen, neue Skills mit peer mentoring bzw. coaching verbinden.*

Das andere Thema ist Debugging Gender-Bias in Tech. Klingt vielleicht seltsam aber ich engagiere mich für “men in tech”. Sie sollen wissen, womit wir Frauen Probleme haben und was die Männer dagegen tun können.

Ich arbeite gerade an einem Podcast zu diesen Themen. NERDin. Lasst Euch überraschen.

Ekaterina: Wer sind deine persönlichen oder beruflichen Role Models?

Naz: Von den Lebenden: Stephanie Shirley. Die Britin war die erste SW Unternehmerin, die nur Mütter engagiert hatte. Sie musste sich als Steve ausgeben, um die Vorurteile in den Köpfen zu reduzieren. Und Ruth Bader Ginsburg, die hoffentlich allen bekannt ist :)).

Von den historischen: viele Frauen, die für unsere Rechte und Gerechtigkeit gekämpft haben. Eine besondere für mich ist Türkan Saylan. Sie war eine türkische Medizinprofessorin, die mit ihrer NGO das Leben von Tausenden von armen Mädchen aus Anatolien verbessert hat. Ich will damit weiter machen, ich will die Mädchen aus armen Verhältnissen, wie ich, für technischen Berufe begeistern. Und ich will den Frauen in der Türkei und im Mittleren Osten helfen, sich im Bereich AI zu bilden. Dazu arbeite ich zusammen mit Ms.AI, Nancy Nemes.

Ich freue mich so sehr, dass endlich in Deutschland women in tech mehr Aufmerksamkeit bekommen und sich unsere Bemühungen konsolidieren.

Ekaterina: Liebe Naz, danke, dass du dir für dieses Interview Zeit genommen hast.

 

Naz leitet die Kurse zu Python und künstlicher Intelligenz, die auf der Seite von Womenintechgermany.com angeboten werden. Zudem bietet sie in Ihrer Academy zahlreiche Kurse zu Persönlichkeitsentwicklung und berufliche Themen auf Englisch an.

Das Interview führte Ekaterina Kocherova. Sie studiert dual Elektromedizingerätetechnik bei Siemens Healthineers.

 

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